Inhalt

Ingolstädter Patenttag

Moderator Markus Schlögl, Beat Weibel, Dr. Regina Hock und Bernd Maile

Moderator Markus Schlögl, Beat Weibel, Dr. Regina Hock und Bernd Maile

Branchentreff mit Biss

Traditionsreiches Treffen an neuem Ort: den „Hochschul-Patenttag“ gibt es bereits seit 2004. Dieses Jahr fand er erstmals an der Technischen Hochschule Ingolstadt statt, wo unter anderem zum Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) in der Mobilität geforscht wird. Also genau der richtige Ort für eine Zusammenkunft der Patentbranche, fand nicht nur DPMA-Vizepräsident Bernd Maile, einer der zahlreichen Referenten: „Hier ist quasi die Innovation zuhause“.

Besonderes Kennzeichen des Patenttages waren von Anfang an der Praxisbezug und die Übertragbarkeit der Themenstellungen auf die tägliche Schutzrechtsarbeit. Auch an der TH Ingolstadt steht die Verknüpfung von Forschung, Lehre und Praxis im Mittelpunkt, wie Präsident Prof. Dr. Walter Schober betonte: „Forschung mündet in Patenten“.

Prof. Dr. Walter Schober

THI-Präsident Prof. Dr. Walter Schober

Der Bereich Geistiges Eigentum stelle einen wichtigen Baustein für das Profil und die Strategie der THI Ingolstadt dar, so Schober in seiner Begrüßung. Die THI will das Patentwesen in Studium und Lehre, in der Forschung und im Transfer verankern und plant daher einen Masterstudiengang „Patentingenieurwesen“, der zum Wintersemester starten soll.

Wandel und Handeln

Prof. Dr. Andrea Klug

Prof. Dr. Andrea Klug

„IP im Wandel - Chancen und Herausforderungen einer digitalen, vernetzten und internationalen IP-Welt“ lautete der Titel des Ingolstädter Patenttag am 10. Februar 2023, den die TH Ingolstadt gemeinsam mit dem DPMA und der Bayern Innovativ veranstaltete. Rund 130 Gäste aus Unternehmen und Kanzleien hatten sich in der Hochschule versammelt, um sich über aktuelle Themen im Patentwesen auszutauschen.

Digitalisierung, Vernetzung und Internationalisierung prägen und verändern die Wirtschaft. Auch die IP-Arbeit in Unternehmen, Kanzleien und Patentämtern wird von diesem Wandel beeinflusst. Er schafft neue Herausforderungen, aber auch Chancen, so Prof. Dr. Andrea Klug, Leiterin der Tagung und Professorin für Patentwesen und gewerblichen Rechtsschutz an der THI, die laut Schober „für das Thema brennt und es an der Hochschule vorantreibt“.

Klug stellte die diversen hochkarätigen Referentinnen und Referenten vor, vergaß auch nicht, eine Abwesende zu ehren: die kürzlich in den Ruhestand gegangene DPMA-Präsidentin Cornelia Rudloff-Schäffer, die mit einem Geburtstags-Fotogruß des Auditoriums bedacht wurde.

Dr. Regina Hock

Dr. Regina Hock

Den Reigen der Referate eröffnet die Präsidentin des Bundespatentgerichts, Dr. Regina Hock. Sie berichtete von den ersten Erfahrungen aus der Praxis mit dem neuen Zweiten Gesetz zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts (kurz: 2. PatMoG).

Hock stellte den neuen Ablauf des Nichtigkeitsverfahrens vor, bei dem u.a. keine Fristverlängerung der Widerspruchsbegründung möglich ist. Anfang des Jahres ist ein zusätzlicher Nichtigkeitssenat am BPatG eingerichtet worden. „Mehr Personal bedeutet automatisch schnellere Verfahren? Nicht unbedingt…“, so Hock. Die Verfahren seien leider nicht beliebig beschleunigbar, weil es keine Qualitätsabstriche geben darf. Man werde auch langfristig nicht so schnell wie ordentliche Gerichte sein.

Hock sprach auch das Pilotprojekt einer Abordnung von Prüferinnen und Prüfern des DPMA als Richter zum BPatG an, die somit Gerichtserfahrung sammeln könnten – „ein Vorteil für das Gesamtsystem“.

Warum das deutsche Patent trotz Einheitspatent attraktiv bleibt

In einigen Monaten wird das europäische Patent mit einheitlicher Wirkung, das Einheitspatent, eingeführt – „die größte Veränderung im europäischen Patentrecht seit fast 50 Jahren“. DPMA-Vizepräsident Bernd Maile erklärte in seinem Vortrag, warum das deutsche Patent trotzdem ein attraktives Schutzrecht in der internationalen IP-Welt bleiben wird.

So zeige beispielsweise die Erfahrung, dass ein erstaunlich hoher Anteil europäischer Patente nur in ein bis zwei Ländern validiert werde. Deutschland sei meistens dabei. Selektive Patentstrategien mit nationalen Patentanmeldungen beim DPMA dürften also weiterhin einen hohen Stellenwert behalten, so Maile – vor allem für Unternehmen, die auf einem Technikgebiet agieren, bei dem der Schutz auf dem wichtigen deutschen Markt strategisch gesehen ausreiche.

Doppelt hält besser?

Bernd Maile

Bernd Maile

Diesen und etliche weitere Vorteile des deutschen Patentes, die Sie auch hier in der Übersicht finden, referierte Maile, ehe er auf die Vorteile des nunmehr möglichen Doppelschutzes hinwies: Die Regelungen zum Einheitspatent sehen nun erstmals auch die Möglichkeit vor, Erfindungen sowohl mit dem europäischen Einheitspatent als auch mit einem nationalen Patent zu schützen, mit identischem Schutzumfang und gleichem Zeitrang.

Dieser Doppelschutz könne vor allem im Falle eines Rechtsstreits erhebliche Vorteile bieten: Patentinhaberinnen und Patentinhabern stehe neben dem neuen einheitlichen europäischen Patentgerichtssystem der Zugang „zur etablierten nationalen Gerichtsbarkeit mit ihren hochkompetenten technischen Richterinnen und Richtern“ weiterhin offen, so Maile: „Wird ein Patent auf europäischer Ebene nichtig, so besteht der Schutz in Deutschland aufgrund des nationalen Patents fort. Und umgekehrt …“

Debatte über Patentqualität

Beat Weibel

Beat Weibel

Deutliche Worte der Kritik richtete Beat Weibel an das Europäische Patentamt: Er sei besorgt über die Entwicklung der Patentqualität beim EPA, so der Head of Intellectual Property der Siemens AG. Die Erteilungsquote sei gestiegen, die Qualität jedoch gesunken, was sich auch an der gestiegenen Widerrufsquote nach Einspruchsbeschwerde widerspiegele. Die Prüferschaft des EPA stehe durch seine „Timeliness and efficiency“-Leitlinien womöglich unter zu hohem Zeit- und Effizienzdruck, so Weibel. Der Industrie sei jedoch vor allem eine vollständige, qualitativ hochwertige Prüfung sämtlicher Patentansprüche und die daraus resultierende Sicherheit wichtig. Er legte daher dem EPA nahe, zu einem konsequenten „Drei-Augenpaar-Prinzip“ zurückzukehren, mehr Transparenz zu Suchkriterien und Prüfungsprozess zu schaffen und Feedback-Möglichkeiten zu eröffnen.

Überhaupt zeichne sich ein strategischer Wandel in der Industrie ab, so Weibel: Patentqualität statt -quantität. Fast alle Unternehmen hätten erkannt, dass man heute nicht mehr möglichst viele, sondern möglichst gute Patente brauche.

Simulationserfindungen – „digital twins“ – spielen nicht nur für Siemens eine immer bedeutendere Rolle, so Weibel. Aber: „Durch die Forderung nach einem konkreten Bezug zur Realität können Simulationen und digitale Zwillinge nur als konkrete Anwendungen beansprucht werden. Die Simulationstechnik als solche ist nach wie vor von der Patentierbarkeit ausgeschlossen.“

Nicht nur hier sieht Weibel Verbesserungsbedarf. Auch und gerade beim Thema KI forderte er Aktivität vom Gesetzgeber: „Die Rechtslage hinkt der Realität hinterher!“ IT müsse endlich als patentfähig, als patentierbare Technologie akzeptiert werden.

KI kreiert – wer ist der Erfinder?

Blick in den Hörsaal

Blick in den Hörsaal

Kreativität, so Weibel, ist schon jetzt nicht mehr dem Menschen alleine vorbehalten. Kl-Systeme werden (bzw. sind bereits) kreativ und werden in der Lage sein, Dinge zu tun, die bisher nur Menschen konnten. Investitionen in Kl-Technologien müssen deshalb genauso geschützt werden können wie andere Technologien, findet Weibel.

Erfinderschaft, Urheberschaft etc. sind traditionell mit Menschen verknüpft. Das müsse überdacht werden: „Wir brauchen eine Erweiterung des Schöpferbegriffes“. Weibel wiederholte seine erst kürzlich bei einer Tagung im DPMA erhobene Forderung, auch juristische Personen als Urheber rechtlich anzuerkennen.

Bernd Maile hatte zuvor die Linie des DPMA zu computerimplementierten Erfindungen erläutert: „Wenn ein technisches Problem mit technischen Mitteln gelöst wird, so betrachten wir üblicherweise die darauf bezogene computerimplementierte Erfindung auch als patentfähig.“ Diese „sehr pragmatische“ Vorgehensweise basiere auf einschlägigen BGH-Entscheidungen aus den frühen 2010er Jahren. „Eine an sich patentfähige Erfindung sollte letztendlich nicht an einer überzogenen Auslegung einer Rechtsnorm scheitern“, so Maile.

„Das wichtigste Patentgericht der Welt“

Dr. Tobias Wuttke

Dr. Tobias Wuttke

„Das Einheitspatent, das einheitliche Patentgericht und das neue INTPATÜG aus Sicht des deutschen Nutzers“ skizzierte Dr. Tobias Wuttke, Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz. Das Einheitliche Patentgericht werde das wichtigste Patentgericht der Welt werden, prophezeite er, „ein globaler Erfolg und Exportschlager“. Seine Vorteile, von denen jeder Kläger profitieren könne, seien u.a. die „Best in class-Richter“ und zügige Verfahren. Dagegen bevorzugten die geplanten Regelungen von Prozesskostensicherheit und Vollstreckungssicherheit reiche Kläger bzw. große Unternehmen. Inländische KMUs werde man daher nur selten als Kläger vor dem Einheitlichen Patentgericht sehen. Letztlich sei ein ganz neu konzipiertes Risikomanagement in der deutschen Industrie nötig. so Wuttke; ebenso ein neues Workflowmanagement und der Ausbau von Recherchekapazitäten. Er ist sich sicher: „Das Einheitspatent wird sich sukzessive durchsetzen“. Seine Nachteile („all or nothing“) könnten durch parallele nationale Anmeldungen ausgeglichen werden.

Einer dieser neuen „Best in class-Richter“ am Einheitlichen Patentgericht wird Tobias Pichlmaier sein, derzeit noch Vorsitzender Richter am LG München. Er referierte über den „Eilrechtsschutz vor dem UPC – insbesondere auch im Vergleich mit der nationalen deutschen Gerichtsbarkeit“. Ein detailreicher Vortrag für Kenner der Materie, der Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Gerichten herausarbeitete.

Ingrid Bichelmair-Böhn, Thomas L. Lederer, Gabriele Mohsler

Ingrid Bichelmair-Böhn, Thomas L. Lederer, Gabriele Mohsler

Zurück zur KI, über deren Patentierung Patentanwalt Thomas L. Lederer sprach, der kurzfristig als Referent eingesprungen war. Auch er stellte fest, dass es kein geeignetes, spezielles Patentrecht für KI gebe: „Das gleiche Patentrecht gilt auch für Schrankscharniere, Ottomotoren und Besenborsten“. Er stellte in seinem Referat u.a. die derzeit gültigen Prüfungsrichtlinien von DPMA und EPA vor. Es fehle eine etablierte Rechtsprechung, so Lederer. „Letztlich geht es immer um die Frage: ‚Was genau ist technisch‘?“

Gabriele Mohsler

Gabriele Mohsler

Gabriele Mohsler ist Vice President Patent Development beim Telekommunikationsunternehmen Ericsson. Sie sprach über „Standard Essentielle Patente (SEP), Entstehung und Lizensierung nach FRAND Bedingungen“. Im Mobilfunkmarkt ist es eine besondere Herausforderung, den Wettbewerb „Fair, Reasonable and Non-Discriminatory“ (FRAND) zu halten. Zwischen „1G“ (um 1980) und „5G“ (2020) bzw. in Zukunft „6G“ erhöht sich mit jedem "G" die Anzahl der Mitstreiter und mit ihnen die Anzahl der angemeldeten Patente mit potentieller Standardrelevanz. Das werfe etliche Fragen auf, so Mohsler: Bedürfen SEP Patente spezieller Regeln bei der Lizensierung? Wer muss Patente an wen lizensieren? Was bedeutet Transparenz im Zusammenhang mit SEPs und wer muss dann eigentlich Transparenz schaffen?

Kampf den Produktpiraten

Pausengespräche im Foyer

Netzwerken: Pausengespräche im Foyer

Ingrid Bichelmeir-Böhn entwickelte mit ihrem interdisziplinären Team bei Schaeffler AG ein Konzept zur fälschungssicheren Kennzeichnung von Originalteilen und deren Verpackung. Als Verantwortliche für Global Brand Protection stellte sie dieses Konzept, das erfolgreich umgesetzt wurde, in ihrem Referat vor: „Produkt- und Markenpiraterie: KI und Digitale Maßnahmen zur Bekämpfung in der Praxis“. Eine spezielle Kennzeichnung ermöglicht heute die schnelle Authentisierung von Schaeffler-Originalteilen durch maßgeschneiderte Apps. Die Produktpiraterie lässt sich so wirkungsvoll bekämpfen.

Dr. Christan A. Mohr ist „Head of Group Patents“ im Team Germany der Electrolux AB. Er sprach über „Agiles IP Management“. Agiles Projektmanagement soll helfen, die richtigen Prioritäten zu setzen, die Kundenorientierung zu verbessern und die Effektivität zu steigern. Dazu bedürfe es „eines radikalen Umdenkens“ für „großartiges Miteinander in einem Team“, „agilem Mindset“ und „hoher Spiel- und Fehlerkultur“. Mit „Kanban, Scrum und Co.“ könne man „gezielt Innovationsimpulse und die passende Patentstrategie setzen“. Wie das genau aussehen soll, war aber nach dem kurzen Impulsreferat vielleicht noch nicht jedem im Publikum so ganz klar.

Explosionen allerorten

Wolfgang Roidl

Wolfgang Roidl

Alles ist explodiert in den letzten Jahren: das globale Wissen, die Zahl der Publikationen, die Datenmenge allgemein … Wie man in der Informationsexplosion überhaupt noch die wirklich relevanten Daten finden kann, verriet Wolfgang Roidl, Leiter des Patentmanagements der Krones AG. Er sprach über „Investigative Patentrecherche – zusätzliche Ansatzpunkte zur umfassenden Technologieanalyse“ und lieferte Tipps und Tricks zur Informationsgewinnung abseits der üblichen Pfade, etwa bei der Deutschen Nationalbibliothek, der Technischen Informationsbibliothek und anderen Datenbanken.

Zum Abschluss der Tagung gab der Leiter des Patentzentrums Bayern, Bruno Götz, einige Empfehlungen, wie man „Mit patentbasierten Analysen legal spionieren“ kann, etwa anhand von Vergleichen des Patentportfolios und dessen Struktur bei großen internationalen Wettbewerbern, beispielsweise Apple und Nokia.

Wie bei solchen Zusammenkünften üblich, wurden einige der wichtigsten Informationen abseits der Vorträge vermittelt – bei den Diskussionsrunden und den Pausen im Foyer, die Gelegenheit zu Austausch und Netzwerkerei boten. So ging ein langer, hoch informativer Freitag in Ingolstadt produktiv zu Ende.

Text: Dr. Jan Björn Potthast, Bilder: JBP/DPMA

Stand: 25.01.2024