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Hoch hinaus: Melli Beese

Melli Beese in ihrer "Taube"

Entschlossenheit im Blick: Melli Beese in ihrer "Taube"

Deutschlands erste Pilotin

Vor 110 Jahren hob Melli Beese ab: Als erste Frau erwarb sie die „Flugzeugführerlizenz“. Deutschlands erste Pilotin musste enorme Widerstände überwinden, ehe sie am 13. September 1911 – am Tag ihres 25. Geburtstages – die Prüfung bestand. Die Flugpionierin, Konstrukteurin und Unternehmerin erkämpfte sich ihren Platz in der Geschichte - als ebenso tapfere wie tragische Figur.

Amelie Hedwig Beese, geboren 1886 als „höhere Tochter“ nahe Dresden, ging nie den leichten Weg: In einer Zeit, in der für Frauen immer noch in erster Linie „Kinder-Küche-Kirche“ als Lebenszweck vorgesehen war, verfolgte sie unbeirrt höhere Ziele. Bildhauerei konnte sie im Kaiserreich als Frau nicht studieren, also ging sie nach Stockholm. Dort begeisterte sie sich nebenbei für das Segeln und verfolgte fasziniert die Berichte über die Fortschritte in der Fliegerei.

Zurück in Deutschland, besuchte sie 1910 als Gasthörerin Vorlesungen in Mathematik und Mechanik am Technikum Dresden. Aber die Theorie genügte ihr nicht – sie wollte selbst fliegen. Das war seinerzeit unerhört: Frauen durften nicht wählen und galten nicht als voll geschäftsfähig. Die noch junge Fliegerei war die Domäne tollkühner Männer. Aber es gab Vorbilder für Beese: die Französin Élise Deroche bestand am 8. März 1910 als erste Frau der Welt die Pilotenprüfung.

Nur tollkühne Männer in die fliegenden Kisten?

Die „Flugmaschinen Wright GmbH“ der amerikanischen Motorflug-Pioniere Orville und Wilbur, die sich am Flughafen Johannistal in Berlin angesiedelt hatte, war bereits einmal mit einer weiblichen Flugschülerin in Berührung gekommen: der berühmten Luftakrobatin und Fallschirm-Erfinderin Käthe Paulus. Dennoch schickte Wright Beese weiter zu „Ad Astra“, wo Robert Thelen (der spätere Konstrukteur des „Albatros D“-Jagdflugzeugs) sie widerstrebend als Flugschülerin annahm.

Bei einem Flug im Dezember 1910 verunglückten Beese und Thelen nach einem technischen Defekt. Die Schülerin brach sich den Fuß. Gegen die Schmerzen erhielt sie Morphin, was zu einer lebenslangen Abhängigkeit geführt haben soll.

Nach dem Crash weigerte sich Robert Thelen, sie weiter zu unterrichten; Frauen an Bord brächten offensichtlich Unglück, soll er gesagt haben. Beese suchte monatelang eine neue Flugschule und fand sie 1911 schließlich bei den Rumpler-Werken. Edmund Rumpler, Besitzer der Werke und später Schöpfer des legendären „Tropfenwagens“, dessen cw-Wert noch heute Autodesigner staunen lässt, versprach sich von einer weiblichen Pilotin mehr öffentliche Aufmerksamkeit für sein Unternehmen.

Lebensgefährliche „Streiche“ gegen den weiblichen „Eindringling“

"Zerlegbares Flugzeug", Patentanmeldung von Beese (DE278879)

"Zerlegbares Flugzeug", Patentanmeldung von Beese (DE278879)

Nun erst lernte Beese so richtig, was es damals bedeutete, sich als Frau in eine Männerwelt gewagt zu haben: sie wurde von ihren Mitschülern belächelt, ignoriert, angefeindet und sogar sabotiert. Ihre Flugstunden wurden kurzfristig abgesagt oder von anderen belegt, die Flugzeuge hatten plötzlich kein Benzin mehr oder waren angeblich defekt. Einmal bemerkte Beese gerade noch rechtzeitig, dass die Tragflächen-Verspannung ihres Flugzeugs gelöst worden war, was zu einem Absturz geführt hätte. Ihr Ausbilder Hellmuth Hirth tat das als „Streich“ ab und gab indirekt ihr die Schuld; schließlich sei sie in ein „Männer-Revier“ eingedrungen.

Kein Wunder, dass sich Melli Beeses enorm teure Ausbildung monatelang hinzog. Am 13. September 1911 aber traf sie am frühen Morgen lange vor den anderen Flugschülern in Begleitung von eigens bestellten Zeugen am Flugplatz Johannistal ein, flog mit ihrer Rumpler-Taube die vorgeschriebenen Manöver und bestand ihre Prüfung. Sie erhielt die „Flugzeugführerlizenz“ Nummer 115, war also die 115. Person und erste Frau, die in Deutschland offiziell fliegen durfte. Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs schafften das in Deutschland nur noch eine Handvoll weiterer Frauen; weltweit sollen es 34 gewesen sein.

Eigene Schule, eigene Flugzeugfabrik

Melli Beese und Charles Boutard

Melli Beese und Charles Boutard

Beese erzielte Achtungserfolge bei Flugwettbewerben und setzte eine neue Höhenbestmarke für Frauen. Dann gründete sie gemeinsam mit ihrem Kollegen Charles Boutard (Flugführerlizenz Nr. 176) und einigen Unterstützern wie dem „Odol“-Hersteller August Lingner die „Flugschule Melli Beese GmbH”. Die straffe und fundierte Ausbildung, die dort geboten wurde, sorgte für einen guten Ruf und wirtschaftlichen Erfolg der Schule.

Beese und Boutard, die 1913 heirateten, produzierten ein eigenes Flugzeug, die „Melli Beese Taube“. Sie war eine Weiterentwicklung der Rumpler-Taube, die ihrerseits auf einer Konstruktion des österreichischen Ingenieurs Igo Etrich basierte ( pdf-Datei FR410711), die im Deutschen Reich keinen Patentschutz hatte. Beese bot ihren „Taube“-Eindecker wesentlich günstiger auf dem Markt an als Rumpler – zu dessen Verdruss.

Aus DE306635

Aus DE306635

Beese profilierte sich nicht nur als Pilotin und Unternehmerin, sondern auch als Ingenieurin: Sie konstruierte unter anderem ein „zerlegbares Flugzeug“, das sie 1912 zum Patent anmeldete ( pdf-Datei DE278879). Außerdem legte sie ein „Verfahren und Vorrichtung zur automatischen Bestimmung der Abtrift von Flugzeugen und Luftschiffen“ vor (1915; pdf-Datei DE306635), einen bemerkenswerten Mechanismus zur sicheren Navigation in der Luft. Darüber hinaus arbeiteten Boutard und Beese an der Konstruktion eines Flugbootes.

Am Vorabend des Ersten Weltkrieges wurden das Ehepaar Beese-Boutard wegen seiner französischen Staatsbürgerschaft von den Behörden schikaniert. Bei Kriegsausbruch mussten sie dann ihre Flugzeugfabrik und Schule schließen und durften den Flugplatz nicht mehr betreten. Boutard wurde als „feindlicher Ausländer“ zunächst interniert, später stellte man beide unter Hausarrest.

Das traurige Ende der Pionierin

Beese im Fliegerpelz

Kein Bärenkostüm, sondern ein damals gebräuchlicher "Fliegerpelz"

Gesundheitlich schwer angeschlagen und wirtschaftlich ruiniert, versuchten beide nach dem Krieg, eine Entschädigung für ihre beschlagnahmten Betriebe zu erhalten. Nach jahrelangem Rechtsstreit erhielten sie inflationsbedingt wenig, und selbst das ging durch Fehlinvestitionen verloren. Sie planten noch als verzweifeltes PR-Projekt einen Flug um die Welt mit zwei Flugzeugen, bekamen aber nicht die nötige finanzielle Unterstützung. Als schließlich auch noch ihre Ehe scheiterte und ihr Versuch, die Fluglizenz zu erneuern, missglückte, nahm sich Melli Beese am 21. Dezember 1925 das Leben.

Charles Boutard (1884-1952) schlug sich später als Chauffeur durch und lebte bis zu seinem Tod in Berlin. Heute sind nach beiden Schulen und Straßen in Deutschland und Frankreich benannt. Eine schweizerische Uhrenfirma hat Melli Beeses Namen als Marke angemeldet (015963275).

Text: Dr. Jan Björn Potthast; Bilder: Bundesarchiv Bild 183-R20273, Archiv Museum Treptow / Deutsches Museum, DEPATISnet, Archiv Museum Treptow / Deutsches Museum, Bundesarchiv Bild 183-1983-0617-302 CC by SA 3.0DE via Wikimedia Commons

Stand: 09.04.2024