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Ada Lovelace

Ada Lovelace, gemälde von Margaret Sarah Carpenter

Ada Lovelace, gemalt von Margaret Sarah Carpenter

Gegen alle Widerstände: Ouvertüre des Computer-Zeitalters

Ganz in Vergessenheit geriet sie nie, war sie doch die Tochter eines berühmten Mannes. Aber es dauerte nach ihrem Tod über 100 Jahre, bis ihre eigenen Leistungen erkannt und Ada Lovelace endlich ihretwegen bekannt wurde.

Frauen hatten in den Naturwissenschaften lange Zeit wenig Chancen. Selbst heute noch sind sie in MINT-Berufen stark unterrepräsentiert. Aber im 19. Jahrhundert war Frauen der Zugang zu vertiefter Bildung in den Naturwissenschaften schlicht verwehrt. Ada Lovelace konnte ihr enormes Talent nur dank glücklicher Umstände wenigstens ansatzweise schulen, nämlich dank ihrer privilegierten Herkunft und ihrer ebenfalls naturwissenschaftlich interessierten Mutter.

Augusta Ada Byron King, Countess of Lovelace, geboren am 10. Dezember 1815 in London, war die Tochter des Dichters George Gordon Byron, bekannt als Lord Byron. Ihre Mutter war die mathematisch begabte Anne Isabella Noel - Byron nannte sie seine „Prinzessin der Parallelogramme“. Die schwierige Ehe hielt nur kurz. Der wilde Dichter war ein skandalumwittertes enfant terrible, Pop-Star der romantischen Lyrik und notorischer Schürzenjäger; Ada war sein einziges eheliches Kind. Kurz nach der Trennung verließ er England. Er starb im Freiheitskampf für Griechenland, als Ada acht Jahre alt war. Sie hat ihn niemals kennengelernt.

Naturwissenschaftliche Bildung, damit sie ja nicht wird wie der Vater!

Porträt von Charles Babbage

Charles Babbage

Um zu verhindern, dass Ada ihrem Vater nacheifern könne, verbannte ihre Mutter jegliche künstlerische Unterweisung aus Adas Erziehung und ließ sie dafür intensiv in den Naturwissenschaften unterrichten. Das war zur damaligen Zeit sehr ungewöhnlich; die höheren Töchter wurden hauptsächlich für ein Leben als Gattin und Mutter vorbereitet und höchstens in Geisteswissenschaften und Künsten geschult.

Ada Lovelace zeigte schon früh die Kombination aus analytischem Verstand und visionärem Weitblick, die sie später das erste „Computerprogramm“ schreiben ließ. Als Kind begeisterte sie sich für Erfindungen und erdachte Flugmaschinen. Sie erhielt Unterricht beim bekannten Mathematiker Augustus de Morgan, der ihr Talent zwar erkannte, aber trotzdem nicht gebührend förderte, weil er Frauen grundsätzlich für ungeeignet für die Wissenschaften hielt.

Begegnung mit Babbage

Mit 17 lernte die selbstbewusste Ada auf einer Soirée den Cambridge-Professor Charles Babbage (1791–1871) kennen, Mathematiker und Allround-Genie. Sein Lebensprojekt war der Analytical Engine, eine hoch komplexe mechanische Rechenmaschine, die ihrer Zeit in jeder Hinsicht Jahrzehnte voraus war. Eine Dampfmaschine sollte den Großrechner mit seinen rund 55.000 Teilen, länger als ein Waggon, 3 Meter hoch, antreiben. Mit Lochkarten sollte er gesteuert werden - wie die mechanischen Webstühle, mit denen damals die Industrialisierung begann.

Der Analytical Engine wurde (trotz Fördermitteln in Millionenhöhe) niemals fertig gestellt, aber Ada Lovelace erkannte das gewaltige Potential des Konzepts - sogar besser als sein Erfinder Babbage, der bloß eine Rechenmaschine wollte. „Ich denke nicht, dass Sie auch nur die Hälfte meiner Vorausahnungen besitzen und meines Vermögens, alle möglichen Eventualitäten zu sehen“, schrieb sie frech an Babbage.

Lovelace sah im Analytical Engine den ersten Computer der Welt:
“Die Maschine könnte auch andere Dinge außer Zahlen bearbeiten, wenn sich Objekte finden ließen, deren Beziehungen durch die abstrakte Wissenschaft der Operationen ausgedrückt werden können und die sich für Befehle und den Mechanismus des Geräts eignen“, schrieb sie in ihren berühmten „Notes“ zu dem Apparat.

Visionäre Erkenntnisse

Teilstück des unvollendeten "Analytical Engine" von Babbage

Teilstück des unvollendeten "Analytical Engine" von Babbage, zu sehen im Science Museum London

Die Erkenntnis, dass die Maschine mehr als nur Zahlen verarbeiten könnte, wenn man die Regeln anderer Objekte für sie formalisieren könnte, war revolutionär und wurde zu ihren Lebzeiten wohl nur von den wenigsten Menschen verstanden. Lovelace formulierte hier die Grundidee der Informatik: die systemische Verarbeitung von Informationen.

Lovelace gibt in ihrer visionären Deutung der Möglichkeiten der programmierbaren Maschine ein konkretes Beispiel: „Vorausgesetzt, dass beispielsweise die grundlegenden Beziehungen von gestimmten Klängen in der Wissenschaft der Harmonie und der musikalischen Komposition für solche Ausdrucksformen und Anpassungen geeignet wären, könnte die Maschine aufwändige und wissenschaftliche Musikstücke von beliebiger Komplexität und Umfang komponieren.“

Komponierende Computer – heute möglich, von Ada Lovelace 1843 vorhergesagt.

Die erste Software der Welt

Algorithmus zur Berechnung der Bernoulli-Zahlen

Auszug aus der "Note G" zum Analytical Engine von Lovelace: Algorithmus zur Berechnung der Bernoulli-Zahlen

In ihren Anmerkungen zur Maschine findet sich auch ein Plan, wie sich mit Hilfe dieser „Hardware“ Bernoulli-Zahlen berechnen lassen. Die Anweisung enthält die arithmetischen Befehle und die Speicherorte aller Zwischenergebnisse und gilt deshalb heute als erste „Software“, als erstes Computer-Programm.

Eine künstliche Intelligenz sah sie in der Maschine nicht, da sie „keine Fähigkeit zur Erkenntnis analytischer Verhältnisse oder Wahrheiten“ besitze. Diese Einschränkung diskutierte Computer-Pionier und Enigma-Knacker Alan Turing ein Jahrhundert später als „Lady Lovelace’s Objection“ in einem berühmten Aufsatz, der Ada wieder in den Blickwinkel der Wissenschaft brachte, die ihre Frage bis heute diskutiert.

Gegen alle Widerstände

Lord George Gordon Byron, 1813 porträtiert von Thomas Phillips

Lord George Gordon Byron, 1813 porträtiert von Thomas Phillips

Die Widerstände, denen Lovelace ihre Erkenntnisse abtrotzte, waren enorm: Mit 19 Jahren musste sie heiraten, dann rasch hintereinander drei Kinder gebären und diese großziehen. Ihr Mann musste für sie Texte aus Bibliotheken abschreiben, da sie diese als Frau nicht nutzen durfte; die Universität war ihr ohnehin verwehrt. Die Gesellschaft und ihre Familie sabotierten ihre wissenschaftliche Weiterbildung und den weiteren Austausch mit Babbage. Ihre stets schlechte Gesundheit war ein weiteres Hindernis. Lovelace verbrachte ihre letzten Jahre vom Krebs ans Bett gefesselt und starb mit nur 36 Jahren (genau wie ihr Vater) am 27. November 1852 in London.

Was Carl Friedrich Gauß über die Mathematikerin Sophie Germain, die anfangs unter Männernamen publizierte, schrieb, gilt auch für Ada Lovelace:

„Wenn dann aber eine Person dieses Geschlechts, das aufgrund unserer Sitten und Vorurteile unendlich viel mehr Hindernisse und Schwierigkeiten vorfindet bei dem Versuch, sich mit diesen dornigen Forschungen vertraut zu machen, als ein Mann, es dennoch versteht, diese Fesseln zu sprengen und in die tiefsten Geheimnisse einzudringen, so muss diese Person ohne Zweifel den vornehmsten Mut, ein außerordentliches Talent und ein überlegenes Genie besitzen.“

Die Angst vor der eigenen Obsolenz durch Maschinen

Lovelaces Vater, Lord Byron, äußerte 1812 im House of Lords Verständnis für die Maschinenstürmer, die aus Furcht um ihre Arbeitsplätze in der Zeit der Frühindustrialisierung mechanische Webstühle zerstörten. Seine Tochter schrieb später, angelehnt an das Prinzip dieser Maschinen, das erste Programm für einen Prä-Computer. Und heute gibt es nicht wenige, die Angst haben, dass ein Computer ihren Job übernimmt und künstliche Intelligenz sie arbeitslos machen wird. Ein Kreis schließt sich….

Text: Dr. Jan Björn Potthast; Bilder: Public Domain via Wikimedia Commons, Science Museum London, CC BY-SA 2.0 via Wikimedia Commons, via Wikimedia Commons, Public Domain via Wikimedia Commons

Stand: 09.04.2024