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Sepp Herbergers 125. Geburtstag

Wankdorfstadion Bern, 4. Juli 1954,

Wankdorfstadion Bern, 4. Juli 1954, auf dem Weg zum "Wunder": Werner Liebrich und Sandor Kocsis im Kopfballduell

Der Wundermacher von Bern

Ohne ihn wüssten wir heute nicht, dass der Ball rund ist und ein Spiel 90 Minuten dauert: Josef „Sepp“ Herberger. Der Geburtstag des Fußball-Philosophen jährt sich am 28. März zum 125. Mal.

Abseits aller Graswurzel-Romantik und Berner Wundern steht fest, dass Herberger eine der prägenden Figuren der deutschen Fußballgeschichte war: Als einer der besten Stürmer seiner Generation und als Bundestrainer, der über Jahrzehnte die Geschicke der Nationalmannschaft lenkte – mit dem bis heute wirkmächtigsten Titelgewinn, der Weltmeisterschaft 1954.

Sein Leben ist ein Spiegelbild der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Herberger, geboren am 28. März 1897 in Mannheim, wächst in der Arbeitersiedlung „Spiegelkolonie“ im Viertel Waldhof auf. Acht Personen in zwei Zimmern, Josef ist das jüngste Kind. Der Vater stirbt, als Herberger elf Jahre alt ist; er wird sich zeitlebens für seine Mutter verantwortlich fühlen. 1911 verlässt er die Schule, hält die Familie als Hilfsarbeiter über Wasser, lernt Mechaniker. Aber seine Leidenschaft ist der Fußball. Er kickt, wann immer er kann. 1915 bestreitet er sein erstes Pflichtspiel – natürlich für seinen Heimatclub, den Arbeiterverein SV Waldhof, und gegen den bürgerlichen Lokalrivalen VfR Mannheim.

„Das Runde muss in das Eckige“

Sepp Herberger

Sepp Herberger

Wenige Jahre später wird Herberger zu genau diesem Lokalrivalen wechseln - ein Tabubruch, ein Auftakt zur zunehmenden Kommerzialisierung des Fußballs, die mittlerweile längst alles andere überlagert hat. Herberger wechselte einzig des schnöden Mammons wegen zum Rivalen, nämlich für ein Handgeld von stolzen 10.000 Mark, was ihm als Verrat an seiner Herkunft ausgelegt wurde und ihm viele Anfeindungen einbrachte; selbst sein Bruder sprach nicht mehr mit ihm. Vor dem Hintergrund der Armut seiner Kindheit lässt sich dieser Schritt vielleicht nachvollziehen. Aber Herberger verstieß damit nicht nur gegen die ungeschriebenen Gesetze der Fan-Romantik, sondern auch gegen das Amateurs-Statut. Er wurde angezeigt und lebenslang gesperrt. Es gelang ihm aber, die Sperre auf ein Jahr zu verkürzen.

Er verlor also ein weiteres wertvolles Jahr seiner aktiven Laufbahn, nachdem er 1916 eingezogen worden war und im Ersten Weltkrieg als Soldat gedient hatte. Trotzdem machte er in den 1920er Jahren eine beachtliche Karriere als Fußballer. Der „Kicker“ nannte ihn einmal „den besten Mittelstürmer Deutschlands“. Ein anderes Fachblatt schrieb 1925, er sei „der Typus des mit Geist arbeitenden Spielers, der nicht blindlings drauflosspielt, sondern seine Handlungen wohl überlegt“. Das beschrieb Herbergers Mentalität perfekt - und auch die seines späteren Lieblingsspielers Fritz Walter.

„Elf Freunde müsst ihr sein“

Jubiläumsbriefmarke 2022

Jubiläumsbriefmarke 2022, Gestaltung: Thomas Steinacker

1930 beendete er seine Laufbahn und wurde Trainer. Seine erste Station war Tennis Borussia Berlin, wo er zuletzt als Profi aktiv war. Schnell empfahl er sich für höhere Aufgaben. Hilfreich war dabei auch seine Fähigkeit, sich mit den jeweiligen politischen Machtverhältnissen gut zu arrangieren: Herberger trat im Mai 1933 in die NSDAP ein. 1936 wurde er „Reichstrainer“.

Herberger war ein strenger Trainer, der die Professionalisierung des Sports im modernen Sinne vorantrieb: „Männer, wenn die anderen in eurem Verein dienstags und donnerstags trainieren, dann nehmt ihr noch den Montag, den Mittwoch und den Freitag dazu. Wenn die anderen an ihr Vergnügen denken, denkt ihr an eure Kondition“, zitierte Fritz Walter seinen „Chef“ später. „Wenn ihr es im Sport zu was bringen wollt, muß sich eure ganze Lebensweise danach richten. Es versteht sich wohl von selbst, daß Rauchen, Trinken und unvernünftiges Essen für einen angehenden Nationalspieler nicht in Betracht kommen.“

„Fußball ist deshalb spannend, weil niemand weiß, wie das Spiel ausgeht“

86. Minute: Ferenc Puskás

86. Minute im Wankdorfstadion: Ferenc Puskás kommt zum Schuss und trifft zum 3:3, aber der Ausgleich wird wegen Abseits nicht anerkannt

Herberger formte eine erste starke Nationalmannschaft, die „Breslau-Elf“ von 1937. Dann musste er 1938 auf Befehl Hitlers nach dem „Anschluss“ Österreichs die halbe Nationalmannschaft mit Spielern aus der neuen „Ostmark“ besetzen. Aus zwei guten, aber völlig unterschiedlichen Mannschaften eine neue formen, noch dazu mit Besetzungsquotenvorgabe – das klappt selten. Daher wurde die Weltmeisterschaft 1938 ein Desaster.

Wegen des Zweiten Weltkrieges lag dann Herbergers Arbeit als Trainer weitgehend auf Eis. Wie selbstverständlich nahm er aber einige Jahre später – er war im Entnazifizierungsverfahren nur als "Mitläufer" eingestuft worden – seine Arbeit für den wiedergegründeten DFB erneut auf. Das Arbeiterkind des Kaiserreichs, der Fußball-Star der Weimarer Republik, der „Reichstrainer“ der NS-Zeit wurde nun Bundestrainer der jungen westdeutschen Republik.

Rund um seinen Lieblingsspieler Fritz Walter, der bereits zu NS-Zeiten zur Nationalmannschaft gehört hatte, baute Herberger ab 1950 ein Team auf, das (als krasser Außenseiter) 1954 erstmals wieder an einem internationalen Turnier teilnehmen durfte.

„Der schnellste Spieler ist der Ball“

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Der Rest ist Geschichte, die größte Heldensaga des deutschen Fußballs, oft erzählt und hinlänglich bekannt. An dieser Stelle soll nur kurz auf einen Aspekt eingegangen werden: Zur Folklore rund um den mirakulösen Finalsieg gehört, dass Adi Dasslers Schraubstollen dem DFB-Team einen wertvollen Vorteil verschafft hätten. Es regnete am Tag des Endspiels („Dem Fritz sei Wetter“), der Rasen war aufgeweicht, aber Zeugwart Dassler tauschte die kurzen Stollen an den Schuhen von Walter, Rahn & Co. gegen längere aus, was auf dem rutschigen Geläuf mehr Sicherheit gab, während die Ungarn mit ihren kurzen Stollen mehr schlitterten und so ihre überlegene Spieltechnik nicht voll entfalten konnten.

Dassler wird oft für den Erfinder der wechselbaren Stollen gehalten. Tatsächlich meldete aber Alexander Salot das erste Patent an. Der Bremer Schumacher hatte bereits 1949 seine „Fußballstiefel o.dgl. mit auswechselbaren Gleitschutzstollen" ( pdf-Datei DE815761B) beim DPMA eintragen lassen. Aber auch Salot hatte Vordenker. Mehr Informationen dazu finden Sie in unserem Beitrag „Schraubstollen: Wer hat´s erfunden?“ oder in unserer Postergalerie der Erfindungen.

„Das Tor steht in der Mitte“

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Der WM-Titelgewinn von 1954 war Herbergers Meisterstück und der Höhepunkt seiner Karriere. Mit eher durchwachsenem Erfolg blieb er danach noch bis 1964 Bundestrainer. Nachfolger wurde nicht Fritz Walter, wie es Herberger sich wohl gewünscht hätte, sondern sein Assistent Helmut Schön. Dieser war als Nationaltrainer auf dem Papier wesentlich erfolgreicher und ist bis heute der einzige, der gleichzeitig Welt- und Europameister mit seiner Mannschaft war. Aber der Titelgewinn von Bern 1954, oft als die „eigentliche Geburtsstunde der Bundesrepublik“ verklärt, machte Herberger, der 1977 starb, für immer einzigartig.

Dazu trugen auch seine berühmten Herbergerschen Weisheiten bei, diese ebenso simplen wie tiefgründigen Erkenntnisse eines abgeklärten Meisters, die bis heute zum geflügelten Zitatenschatz weit über den Fußball hinaus zählen: „Der Ball ist rund“ oder „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“.

Seine Ermahnung „Elf Freunde müsst ihr sein“ meldete eine Behindertenwerkstatt als Marke an (3020140691744); auch für Speiseseis gab es eine (inzwischen gelöschte) Anmeldung (305168916). Der Versuch, „Sepp Herberger“ 2006 als Wortmarke für diverse Warenklassen anzumelden, wurde dagegen als „Bösgläubige Anmeldung“ zurückgewiesen (306020807).

Jede Markenanmeldung muss eben gründlich recherchiert und vorbereitet sein. Denn auch für jede neue Markenkreation und für jede neue Erfindung gilt die goldene Herbergersche Regel: „Das nächste Spiel ist immer das schwerste.“

Text: Dr. Jan Björn Potthast, Bilder: Comet Photo Bildarchiv ETH Zürich via Wikimedia Commons, Wim van Rossem Anefo National Archief via Wikimedia Commons, Bundesministerium der Finanzen, ETH Zürich CC by SA 4.0 via Wikimedia Commons, DPMAregister

Stand: 09.04.2024