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Aspirin

Historisches Aspirinfläschchen von 1899

Die wohl bekannteste Marke in der Medizin

125 Jahre alt ist die wahrscheinlich weltweit bekannteste Medikamentenmarke: Aspirin. Der Markenname, der am 6. März 1899 in die Warenzeichenrolle des Kaiserlichen Patentamtes in Berlin eingetragen wurde, ist längst international zum Gattungsbegriff geworden. Acetylsalicylsäure wirkt gegen Fieber, Schmerzen und Entzündungen und dürfte das meistverkaufte Medikament der Geschichte sein.

Acetylsalicylsäure (kurz: ASS) hat als Schmerzmittel eine lange Vorgeschichte. Salicin, das im Körper zu Salicylsäure umgesetzt wird, findet sich in der Rinde der Weide. Deren therapeutische Wirkung ist schon seit Urzeiten bekannt. Der Stammväter aller Ärzte, Hippokrates von Kos, beschrieb sie um 400 v. Chr. als Arznei gegen Fieber und Schmerzen; Germanen und Kelten kochten einen Sud aus Weidenrinde als Medizin.

Aspirin hat viele Väter

Urkunde des Kaiserlichen Patentamts zur Eintragung der Marke Aspirin, 1899

Urkunde des Kaiserlichen Patentamts zur Eintragung der Marke Aspirin, 1899

Das überlieferte jahrhundertealte Wissen wurde in der Neuzeit erstmals 1763 für die britische Royal Society wissenschaftlich überprüft und bestätigt. 1828 isolierten dann Johann Andreas Buchner und Pierre-Joseph Leroux das Salicin aus Weidenrindenextrakten.

In den nächsten Jahrzehnten gab es weitere Meilensteine auf dem Weg vom Rindensud zur Tablette: Charles Frédéric Gerhardt synthetisierte 1853 in Straßburg Acetylsalicylsäure in nichtreiner Form; Hugo von Gilm gewann 1859 unreine o-Acetylsalicylsäure als wasserunlöslichen Feststoff. Karl Kraut untersuchte 1869 die Versuchsabläufe der beiden und verbesserte den Gewinnungsprozess. Und 1874 lieferte die Chemische Fabrik v. Heyden in Radebeul Salicylsäure als weltweit erstes industriell hergestelltes und fertig verpacktes Arzneimittel aus.

Wer "erfand" Aspirin?

Foto von Felix Hoffmann  um 1894

Felix Hoffmann um 1894

Salicylsäure hat jedoch störende Nebenwirkungen wie Magenbeschwerden, so dass der entscheidende Schritt zum gut verträglichen Medikament noch ausstand. Dieser erfolgte am 10. August 1897 in Wuppertal-Elberfeld: Im Labor der "Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co." gelang erstmals die Synthese von nebenproduktfreier o-Acetylsalicylsäure aus Acetanhydrid und Salicylsäure.

Diese "Erfindung" wird meistens (u.a. von der Firma Bayer) dem Chemiker Dr. Felix Hoffmann (1868-1946) zugeschrieben. Allerdings dürfte Aspirin eher das Resultat von Teamwork gewesen sein. Arthur Eichengrün beanspruchte fast ein halbes Jahrhundert später, die treibende Kraft hinter der ersten chemisch völlig reinen Synthese der Acetylsalicylsäure und der Entwicklung von Aspirin gewesen zu sein; Hoffmann habe damals lediglich seine Anweisungen umgesetzt.

(Mit-)Erfinder im KZ

Foto von Arthur Eichengrün (circa 1900)

Arthur Eichengrün (circa 1900)

Eichengrün erhob diese Ansprüche erstmals offiziell in einem Brief an Bayer, den er aus dem Konzentrationslager Theresienstadt schrieb. Der bedeutende Chemiker (er war u.a. an 47 Patenten beteiligt, z.B. pdf-Datei DE390840A, pdf-Datei US1175728A) mit jüdischen Wurzeln war 1944 von den Nazis dorthin verschleppt worden. Bis zu seinem Tod 1949 beharrte Eichengrün darauf, dass seine Urheberschaft nur wegen seiner jüdischen Abstammung geleugnet werde. Lange wurden seine Ansprüche weitgehend ignoriert. Erst in jüngerer Zeit kamen Studien (externer Link z.B. von Walter Sneader, externer Link Ulrich Chaussy) zu dem Ergebnis, dass Eichengrün wohl tatsächlich die entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Aspirin gespielt hatte. Die Version vom „Einzelerfinder“ Hoffmann ist jedenfalls nicht haltbar.

Kein deutsches Patent für Aspirin

Felix Hoffmanns Laborjournal, Eintrag vom 10.8.1897

Felix Hoffmanns Laborjournal, Eintrag vom 10.8.1897

Aber wie groß war der erfinderische Schritt eigentlich? Nicht groß genug, fand das Kaiserliche Patentamt und lehnte 1899 eine Patentierung ab. Zum vielschichtigen Hintergrund dieser Entscheidung gehörte, dass die Chemische Fabrik v. Heyden bereits ab 1897 Acetylsalicylsäure als Heilmittel vertrieb, zunächst unter dem chemischen Namen, dann unter dem Handelsnamen Acetylin. Felix Hoffmann gelang es 1898 aber, Aspirin in den USA ( pdf-Datei US 644077) zum Patent anzumelden; Bayer beantragte im Jahr darauf ein Patent in Großbritannien ( pdf-Datei GB 189909123A).

Zunächst aufs falsche Pferd gesetzt

Ein weiterer wichtiger Protagonist war Heinrich Dreser (1860-1924), der seit 1897 das Pharmakologische Laboratorium bei Bayer leitete und deshalb Tantiemen an den deutschen Umsätzen von Aspirin bezog – im Gegensatz zu Hoffmann und Eichengrün, die leer ausgingen. Dreser könnte als ihr Vorgesetzter einen Anteil an der Arbeit Hoffmanns und Eichengrüns gehabt haben; er stellte das Aspirin auch erstmals pharmakologisch der Öffentlichkeit vor. Aber Dreser gab intern lange einem anderen, angeblich nebenwirkungsärmeren Wirkstoff den Vorzug, den Felix Hoffmann kurz zuvor entwickelt hatte, und drückte diesen als Hustenmittel auf den Markt: Diacetylmorphin, besser bekannt unter seinem von Bayer eingetragenen Markennamen: Heroin (Wort-Bildmarke DE 31650 vom 16. Mai 1898, gelöscht).

Eine wichtige Rolle spielte auch Kurt Witthauer (1865-1911), Oberarzt am Diakonissenkrankenhaus Halle/Saale. Er führte die erste klinische Studie über die Anwendung von Aspirin durch und publizierte sie 1899.

Wirkmechanismus erst 1971 aufgeklärt

Kurt Witthauers Bericht in Therapeutische Monatshefte 13, S. 330 (1899)

Kurt Witthauers Studienbericht zu Aspirin (Therapeutische Monatshefte 13, S. 330, 1899)

Diese vier Männer leisteten entscheidende Beiträge zur Etablierung von Aspirin. Richtig verstanden haben sie es jedoch nie. Es dauerte noch Jahrzehnte, bis der Wirkmechanismus von ASS aufgeklärt wurde: 1971 erkannte John Robert Vane, dass es die Biosynthese von Prostaglandinen hemmt und erhielt dafür später den externer Link Medizin-Nobelpreis (1982).

Diese Erkenntnis öffnete die Tore für eine weitere Erforschung des Potentials von ASS. Heute steht Acetylsalicylsäure gleich dreimal auf der externer Link Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der Weltgesundheitsorganisation WHO: als Nichtopioid-Analgetikum für leichte Schmerzen und Fieber, als Mittel bei einer akuten Migräne-Attacke und als Thrombozytenaggregationshemmer zur Prophylaxe gegen Schlaganfall und bei Herzinfarkt. Seine Wirkungen und Nebenwirkungen werden bis heute weiter intensiv beobachtet und bewertet.

Beschlagnahme befördert Mutation zum Gattungsbegriff

DE-Marke 36433, angemeldet 1899

DE-Marke 36433, angemeldet 1899

Die Marke Aspirin hat eine bewegte Geschichte: Der Markenanmeldung beim Kaiserlichen Patentamt folgte die Registrierung in zahlreichen Ländern weltweit. Aber im Ersten Weltkrieg wurde die Marke in vielen Ländern, gegen die Deutschland kämpfte, beschlagnahmt oder für gemeinfrei erklärt. Diese verlorenen Marken kaufte Bayer teilweise später zurück, was sich bis in die 1990er Jahre hinzog.

Aber Aspirin war in den USA und anderen Ländern ohnehin schon bald nach Beschlagnahme und Verkauf zum Gattungsbegriff oder Synonym für ASS-Medikamente geworden. Mit Hilfe zahlreicher neuer Produktvarianten nutzt Bayer seine berühmteste Marke auch nach 125 Jahren weiterhin sehr intensiv.

Text: Dr. Jan björn Potthast; Bilder: Bayer AG, Bayer AG/Public domain, BayerAG/via Wikimedia Commons, via Wikimedia Commons, Public domain, DPMAregister

Stand: 09.04.2024