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"Urknall" der Mikroelektronik

Jack Kilbys integrierter Ur-Schaltkreis

Jack Kilbys integrierter Ur-Schaltkreis

Der erste integrierte Schaltkreis

Vor 65 Jahren: Jack Kilby meldet "Minituarized electronic circuits" zum Patent an

Vor 65 Jahren, am 6. Februar 1959, meldete Jack St. Clair Kilby ein bahnbrechendes Patent an. Der „Vater des Mikrochips“ hätte kürzlich seinen 100. Geburtstag gefeiert. In Jefferson City (Missouri) wurde er am 8. November 1923 geboren. Den größten Teil seiner Jugend verbrachte er in Great Bend in Kansas. Zum Studium der Elektrotechnik ging er zunächst nach Illinois, später an die University of Wisconsin in Milwaukee. 1958 begann er seine Arbeit für Texas Instruments, denen er lebenslag verbunden blieb und wo er die meisten seiner zahlreichen Erfindungen machte. 1970 ließ er sich beurlauben, um als freier Erfinder zu arbeiten. Von 1978 bis 1984 war er Professor für Elektrotechnik an der Texas A&M University. 2000 erhielt er zusammen mit Herbert Kroemer und Zhores I. Alferov den Nobelpreis für Physik. Jack Kilby starb am 20. Juni 2005 in Dallas.

Hier kommt die Geschichte von einem Ingenieur, der keinen Urlaub nehmen durfte - und deshalb eine bahnbrechende Erfindung machte!

Jack Kilby hatte im Sommer 1958 gerade frisch bei Texas Instruments in Dallas angefangen und daher Urlaubssperre. Während seine Kollegen alle verreist waren, nutzte der einsame Kilby die Zeit im leeren Labor gut. Als sein Team aus den Ferien zurückkehrte, präsentierte Kilby ihm am 12. September 1958 einen Meilenstein der Technikgeschichte: den ersten integrierten Schaltkreis, praktisch den Stammvater des Mikrochips.

Ein entscheidender Durchbruch hin zur Mikroelektronik war wenige Jahre zuvor mit der Erfindung des Transistors erfolgt: 1947 entwickelten John Bardeen, William Shockley und Walter Houser Brattain in den Bell Laboratories den Bipolartransistor – bis heute der Grundbaustein jeglicher Mikroelektronik. Dafür erhielten sie 1956 gemeinsam den Nobelpreis. Zwar hatte es bereits früher wichtige Schritte in diese Richtung gegeben (das erste Patent zum Prinzip des Transistors wurde 1925 von Julius Edgar Lilienfeld angemeldet: CA272437A), die aber nicht praxisreif waren.

Durchbruch mit Halbleitern

Jack Kilby

Jack Kilby

Der Transistor konnte nun zwar die großen, schweren Röhren ersetzen, aber da man für komplexere Rechenaufgaben sehr viele Transistoren benötigte und diese aufwändig verkabelt werden mussten, hatte man nach wie vor das Problem, dass viel Platz und Material für die Rechenmaschinen benötigt wurde.

Dieses Problem löste Jack St. Clair Kilby aus Great Bend, Kansas (1923-2005) in seinem einsamen Sommer im Labor: Er vereinte Transistor, Widerstand und Kondensator auf einem gemeinsamen Bauteil. Entscheidend beim integrierten Schaltkreis (englisch: Integrated Circuit, kurz IC) ist der Umstand, dass die Bauteile auf einer Platte montiert werden, die selbst Bestandteil der Schaltung ist. Das Halbleiter-Material (bei Kilby Germanium, heute meist Silizium) erspart die Verkabelung und ermöglicht es so, sehr viele Transistoren auf kleinstem Raum unterzubringen.

Kilbys Schaltkreis war ein sogenannter „Flip-flop“ oder „bistabiles Kippglied“. Solche Ein-Bit-Speicher sind bis heute das Grundelement jeglicher Computerspeicher.

Kilbys Erfindung kam nicht aus dem Nichts: Bereits 1949 hatte Werner Jacobi, der für Siemens & Halske in Erlangen arbeitete, seinen "Halbleiterverstärker" beim DPMA angemeldet ( pdf-Datei DE833366B), der wesentliche Elemente eines integrierten Schaltkreises vorwegnahm. Auch der britische Elektroingenieur Geoffrey Dummer soll um 1950 herum einen integrierten Schaltkreis konzipiert haben (jedoch ohne Schutzrechte beantragt zu haben).

Wer zuerst anmeldet, hat die Nase vorn

"Miniaturized electronic circuits": Zeichnung aus Kilbys Patentschrift US3138743

"Miniaturized electronic circuits": Zeichnung aus Kilbys Patentschrift US 3138743

Die Geschichte von Kilby und dem IC ist auch ein Lehrstück, das einmal mehr zeigt, wie wichtig es ist, sein geistiges Eigentum schnell anzumelden und zu schützen. Zeitgleich und unabhängig von Kilby hatte nämlich Robert Noyce ebenfalls den integrierten Schaltkreis entwickelt ( pdf-Datei US 2981877A). Noyce arbeitete bei Fairchild Semiconductors, die gerade den ersten Diffusions-Bipolartransistor entwickelt hatten. Noyce war Kilby sogar einen Schritt voraus und nutzte bereits photolithografische Verfahren und Diffusionsprozesse zur Herstellung seines IC. Aber Kilby meldete als Erster (und zwar am 6. Februar 1959) ein Patent an ( pdf-Datei US 3138743 A).

Es gab dann jahrelange patentrechtliche Streitigkeiten zwischen den Unternehmen, aber im Rückblick gingen Kilby und Noyce letztlich gleichberechtigt als Erfinder des IC in die Geschichte ein. Als Kilby im Jahr 2000 den Nobelpreis für Physik erhielt, war er sich sicher, dass er die Auszeichnung mit Noyce geteilt hätte, wenn dieser noch am Leben gewesen wäre („While Robert and I followed our own paths, we worked hard together to achieve commercial acceptance for integrated circuits. If he were still living, I have no doubt we would have shared this prize”). Noyce, Mitbegründer von Intel und Geburtshelfer von AMD, war bereits 1990 gestorben.

Rasante Entwicklung bis tief in den Nano-Bereich

"Semiconductur device-and-lead structure": Zeichnung aus Robert Noyces Patentschrift US2981877A

"Semiconductur device-and-lead structure": Zeichnung aus Robert Noyces Patentschrift US 2981877 A

Aber als Kilby und Noyce Ende der 1950er Jahre den IC entwickelten, passierte zunächst einmal so gut wie nichts. Es dauerte noch Jahre, bis die ersten Mikroprozessoren die Technik revolutionierten. Ein Meilenstein auf diesem Weg war der erste Taschenrechner, den Texas Instruments 1966 präsentierte und an dem wiederum Kilby maßgeblich beteiligt war.

Der integrierte Schaltkreis ist bis heute das Basiselement der Digitaltechnik, sei es in Küchengeräten, Smartphones, Autos und natürlich in Computern. Wie das „Mooresches Gesetz“ 1965 vorhergesagt hat, verdoppelte sich etwa alle 18 Monate die Zahl der Schaltkreise, die auf einem Chip untergebracht werden können. Heute kann der Mikroprozessor eines PCs mehrere Milliarden Transistoren enthalten.

Wie aber bringt man so eine unvorstellbare Zahl von Schaltungen auf einem kleinen Silikonplättchen unter? Mit Fotolack präparierte Halbleiter-Scheiben (englisch: Wafer) werden meist mittels eines photolithographischen Verfahrens in verschiedenen Schritten belichtet. Dabei werden die komplexen Strukturen des Mikrochips aufgetragen. Diese Strukturen lassen sich heute bis in den einstelligen Nanometerbereich auflösen.

Dutzende von Patentanmeldungen

US823262A

US823262A

Jack Kilby meldete im Laufe seiner langen Erfinderlaufbahn noch Dutzende von Patenten an, viele auch in Deutschland.

Etliche davon verbesserten die Einsatzmöglichkeiten von Integrierten Schaltkreisen, etwa „Anordnung und Verfahren zum schaltungsmäßigen Verbinden einer Anzahl von übereinandergestapelten Schaltplatten in Modulbauweise“ ( pdf-Datei DE1132202) oder „Integrierte Halbleiterschaltungsanordnung“ ( pdf-Datei DE1207511A,1960).

Kurios mutet aus heutiger Sicht sein voluminöser Anrufbeantworter von 1958 an: „Telephone anwering device“ ( pdf-Datei US2823262A). Technisch war es den meisten seinerzeit verfügbaren Geräten aber wohl deutlich voraus.

""Kleinstrechner" und Lernmaschine

US3386187A

"Teaching machine" (US3386187A)

Kilby entwickelte auch eine Art Lern-Computer: „Teaching machine“ ( pdf-Datei US3386187A, 1966). Es handelte sich dabei um eine Art Multiple-choice-Fragemaschine: „This invention relates (…) to a machine for teaching arithmetic or other subjects which can be taught by repetitive drill. (…) The problems are prepared on a film strip and presented to the student, one at a time. The Student responds by selecting one of a number of keys representative of the possible answer. If the key corresponding to the correct answer is selected, the film strip is automatically indexed to the next frame. If the incorrect answer is selected, the Student may either select another key, or may depress an answer button which causes the correct answer to be revealed. Then by depressing the correct key, the film strip will index to the next problem.“

DE1774893A

DE1774893A

Zu seinen bedeutendsten Erfindungen gehört der Thermodrucker, der bis heute viel in Gebrauch ist: „Thermal Printer“ ( pdf-Datei US3496333A, 1965). Und natürlich der Taschenrechner, mit dem der Siegeszug des Integrierten Schaltkreises erst so richtig begann. Eines der zugrundeliegenden Patente ist „Elektronischer Kleinstrechner“ ( pdf-Datei DE1774893A (4,57 MB)), angemeldet 1968.

Aber Kilby erwies sich als wahrer technischer Visionär auch durch seine frühe Beschäftigung mit der Solarenergie: „Die Notwendigkeit, fossile Brennstoffe als Energiequelle zu ersetzen, ist bekannt“, schrieb er bereits 1976 in seiner Patentanmeldung „Energiewandler“ ( pdf-Datei DE2633878A1 (1,7 MB)): „Die Erfindung bezieht sich auf die wirksame Umwandlung und Speicherung der Energie von Lichtquellen wie der Sonne. Auf Sperrschicht-Photozellen fallendes Licht erzeugt eine Spannung, die bewirkt, daß durch einen mit den Quellen in Kontakt stehenden Elektrolyten ein Strom fließt, der eine chemische Reaktion im Elektrolyten hervorruft.“

Bis ins hohe Alter arbeitete Kilby weiter an der Verbesserung der Einsatzmöglichkeiten für Integrierte Schaltkreise. Seine letzte Patentanmeldung reichte er 1995 ein: "Flip chip silicone pressure sensiitive conductive adhesive" ( pdf-Datei US5611884A).

Text: Dr. Jan Björn Potthast, Bilder: Texas Instruments, DEPATISnet

Stand: 09.04.2024