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100 Jahre Enigma

Die Kryptographie und der Krieg

Enigma: Das ist die spannende Geschichte von einer ausgetüftelten Maschine zum Verschlüsseln von Nachrichten und den genialen Menschen, die sie knackten – und damit den Verlauf des Zweiten Weltkriegs, der in Europa am 8. Mai 1945 endete, entscheidend beeinflussten.

Vor hundert Jahren, am 23. Februar 1918, meldete Arthur Scherbius (1878-1929) seinen ersten „Chiffrierapparat“ zum Patent an ( pdf-Datei DE416219), der bereits die wesentlichen Elemente der Enigma enthielt.

Vor Scherbius hatte der US-Amerikaner Edward H. Hebern eine Chiffriermaschine mit rotierenden Walzen zum Patent angemeldet (siehe z.B. pdf-Datei US1510441A (1,74 MB), pdf-Datei US1084010 oder pdf-Datei US1086823); parallel hatten weitere Ingenieure ähnliche Ideen (beispielsweise pdf-Datei DE411126A und pdf-Datei DE385682A ).

Scherbius war ein versierter Ingenieur, der sich insbesondere durch die Entwicklung von Schaltungen hervorgetan hatte. Nachdem er seine Erfindung noch während des Ersten Weltkrieges vergeblich dem Militär angeboten hatte, setzten die Enigma-Hersteller auf Kunden aus der internationalen Wirtschaft, die ihre Kommunikation geheim halten wollten. Scherbius entwickelte bis zu seinem Unfalltod 1929 die Enigma kontinuierlich weiter (z.B. pdf-Datei DE425147A, pdf-Datei DE378238, pdf-Datei DE536556A).

Mit den 1930er Jahren und Hitlers Kriegsvorbereitungen stieg das Interesse des Militärs an der Enigma erheblich. Sie wurde aus der Öffentlichkeit genommen und fortan für die geheime Kommunikation von Heer, Luftwaffe und Marine eingesetzt.

158.962.555.217.826.360.000

Zeichnung einer Walze der Enigma aus der Patentschrift DE425147

Die Enigma (griechisch für „Rätsel“) verschlüsselte Texte mit einem System von drei oder mehr rotierenden, austauschbaren Walzen und Steckverbindungen, das theoretisch 158.962.555.217.826.360.000 verschiedene Schlüssel bot. Wie bei einer Schreibmaschine wurden Texte eingetippt, die dann als Buchstabensalat ausgegeben und per Morse-Code gefunkt wurden.

Sender und Empfänger benötigten beide jeweils eine Enigma mit der exakt gleichen Konfiguration, die im Krieg regelmäßig (bei der Marine täglich um Mitternacht) geändert wurde. Beide Seiten brauchten außerdem die Codebücher, in denen die wechselnden Einstellungen (Tagesschlüssel) festgelegt waren.

Die Enigma hatte eine entscheidende kryptographische Schwäche: Durch die „Umkehrwalze“ war ausgeschlossen, dass ein eingegebener Buchstabe als er selbst codiert wurde. Das heißt, beispielsweise ein „A“ erschien niemals als ein „A“ im verschlüsselten Text, sondern wurde immer durch einen anderen Buchstaben ersetzt. Das reduzierte die möglichen Alphabet-Varianten deutlich und wurde zu einem wichtigen Einfallstor der Codeknacker.

Der Wetterbericht als Achillesferse

Foto einer Enigma-Walze

Enigma-Walze

Außerdem trug – neben einigen Nachlässigkeiten und individuellen Fehlern – ausgerechnet die deutsche Gründlichkeit dazu bei, dass die Enigma geknackt werden konnte: Jeden Morgen um die gleiche Zeit wurde ein Wetterbericht versendet. Dieser enthielt naturgemäß viele stets wiederkehrende Begriffe, was den Codeknackern Ansatzpunkte zur Entschlüsselung lieferte.

Die entscheidende Vorarbeit zur Entzauberung der Enigma-Maschine war allerdings bereits in den 1930er Jahren in Polen geleistet worden: Der große Mathematiker Marian Rejewski hatte wesentliche Prinzipien der Maschine erforscht und sein Wissen kurz vor Kriegsausbruch an britische Wissenschaftler weitergegeben. Rejewski entwickelt auch die erste kryptoanalytische Maschine zur Code-Entschlüsselung namens „Bomba“. Wie auch bei den britischen Codeknackern wurde Rejewskis Arbeit erst Jahrzehnte nach Kriegsende bekannt und gewürdigt.

Computer-Pionier Alan Turing und seine „Bombe“

Zeichnung aus der Patentschrift DE536556

Zeichnung aus der Patentschrift DE536556

Während Rejeweski aber (bisher) noch nicht zum Protagonisten von Kinofilmen gemacht worden ist, widerfuhr Alan Turing (1912-1954) diese späte Ehre bereits mehrfach. Gemeinsam mit Gordon Welchmann war Turing der führende Kopf der britischen Codeknacker in externer Link Bletchely Park nahe London, die dort unter dem Projektnamen „Ultra“ arbeiteten, zum Beispiel in der berühmt gewordenen „Hut 6“ (Baracke 6). Sie nutzten die immanenten Schwächen der Enigma, Rejewskis bedeutende Vorarbeit und erbeutete Codebücher dazu, Wege zur Entschlüsselung der Enigma-Funksprüche zu finden.

Turing wurde durch die Konstruktion der nach ihm benannten „Bombe“, deren Grundidee er von Rejewski übernommen und wesentlich weiterentwickelt hatte, ein Vater der modernen Computertechnik. Der Riesenapparat konnte anhand von „cribs“ (wahrscheinlich im Funkspruch verwendeten Wörtern) den Tagesschlüssel aus circa 1.054.560 Möglichkeiten errechnen. Durch den Einsatz von hunderten dieser „Bomben“ in England und den USA ließen sich die deutschen Funksprüche schließlich innerhalb weniger Minuten entschlüsseln.
Die Alliierten waren somit über alle Schritte der Deutschen informiert und konnten entsprechend überlegen agieren. Die Bedeutung dieses Wissensvorsprungs ist kaum zu überschätzen. Vor allem der Verlauf des U-Boot-Krieges im Atlantik wurde entscheidend durch die Entschlüsselung der deutschen Kommunikation beeinflusst.

U-559 geht verloren – und mit ihr der gesamte U-Boot-Krieg

Foto von U505

U505 wurde ähnlich wie U559 mitsamt der Enigma und Codebücher von den Alliierten erbeutet. Das U-Boot befindet sich heute in einem Museum in Chicago.

Die Codeknacker in Bletchley Park hatten mit dem komplizierteren Verschlüsselungssystem der Kriegsmarine zunächst wesentlich größere Probleme als mit dem der übrigen deutschen Streitkräfte, die bald nach Kriegsbeginn geknackt worden waren. Bei der Marine dauerte es bis zum Mai 1941, ehe „Ultra“ die Kommunikation entschlüsseln konnte. Zwischen Februar und Dezember 1942 gab es dann aber einen sogenannten Black-out, als die Marine die neue Enigma M-4 mit 4 Walzen und das Codesystem „Triton“ einführte. Erst nach der Erbeutung des deutschen Bootes U-559 samt Enigma und Codebüchern gelang es Turing und seinen Mitarbeitern wieder, die Funksprüche zu entschlüsseln. Der U-Boot-Krieg war entschieden.

Beinah ebenso bedeutend wie die Entschlüsselung der Enigma war die Fähigkeit der Briten, ihr Wissen geheim zu halten. Die deutsche Seite ahnte bis Kriegsende (und lange darüber hinaus!) nicht, dass der Feind alle Funksprüche mitlesen konnte. Die NS-Streitkräfte glaubten bis zum Schluss an die „Unknackbarkeit“ der Enigma.

Ohne die Enigma-Entschlüsselung hätte der II. Weltkrieg wohl nicht vor 73 Jahren geendet

Zeichnung aus der Patentschrift DE416219

Zeichnung aus der Patentschrift DE416219

Die Briten kommunizierten ihrerseits mit einer ähnlichen Chiffriermaschine namens Typex, deren Entwickler die Schwächen der Enigma vermieden (z.B. durch den Einsatz mehrerer Übertragskerben). Es gelang Hitlers Kryptographen niemals, deren Codes zu knacken.

Die Mathematiker und Kryptoanalytiker von Bletchley Park trugen durch die Entschlüsselung der Enigma entscheidend dazu bei, den Zweiten Weltkrieg zu verkürzen. Wenn man bedenkt, dass in den letzten beiden Kriegsjahren gerade auf deutscher Seite deutlich mehr Menschen starben als in den fünf Jahren zuvor und die Atombombe bei einer längeren Kriegsdauer im Westen wahrscheinlich zuerst gegen Deutschland zum Einsatz gekommen wäre, lässt sich erkennen, was das bedeutete.

Bilder: iStock.com/giorez, J.B. Spector / Museum of Science and Industry Chicago

Stand: 07.05.2018