Internationale Zusammenarbeit

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Im Gespräch: WIPO-Chefökonom Dr. Carsten Fink „Deutschland ist ein Spitzenreiter in Sachen Innovation“

Dr. Carsten Fink, Chefökonom der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO), über positive Innovationstrends in der Pandemie, Stärken und Schwächen Deutschlands im internationalen Innovationsgeschehen und den Beitrag des DPMA im multilateralen Schutzrechtssystem

Portraitfoto Carsten Fink, Foto: Dr. Carsten Fink

Dr. Carsten Fink ist Chefökonom der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) in Genf. Vorher war er Professor für Außenwirtschaft an der Universität St. Gallen und Gastprofessor an der Sciences Po in Paris. Vor seiner akademischen Tätigkeit war Carsten Fink mehr als zehn Jahre bei der Weltbank tätig.

Herr Dr. Fink, die Corona-Pandemie hat das internationale Innovationsgeschehen vor große Herausforderungen gestellt. Wie verheerend sind die Schäden im internationalen Innovationsökosystem?

Die Ergebnisse sind unterschiedlich, aber insgesamt ist die Innovationsbilanz erstaunlich positiv.
Die Weltwirtschaft erlebte einen starken Abschwung, der sich merkbar auf die Innovationstätigkeit auswirkte. Die Anmeldungen von geistigen Eigentumsrechten gingen während der ersten Phase der Pandemie im Jahr 2020 auf nationaler und internationaler Ebene zurück. Im Jahr 2021 erholten sie sich jedoch wieder, und die Rückgänge waren zumindest auf globaler Ebene relativ gering.

Es ist auch deutlich erkennbar, dass die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie die verschiedenen Sektoren auf unterschiedliche Weise betrafen. So verzeichneten beispielsweise der Fahrzeugbau und viele Dienstleistungsbranchen rückläufige Investitionen in Forschung und Entwicklung (F&E). Das Gesundheitswesen und die Informationstechnologie wiederum verstärkten ihre F&E-Aktivitäten — nicht zuletzt, um Lösungen für die Pandemie und ihre Folgen zu finden.

Verglichen mit der Dotcom-Blase zu Beginn des Jahrhunderts und der Finanzkrise Ende der 2000er Jahre kann man aber sagen, dass die Innovationsleistung der Corona-Pandemie standgehalten hat, und einige Umbrüche sogar eine neue und positive Innovationsdynamik ausgelöst haben.

Wie schätzen Sie die Lage in Deutschland ein?

Die Entwicklung der internationalen Patentanmeldungen deutet darauf hin, dass Deutschland stärker von der Pandemie betroffen war als andere große Volkswirtschaften – insbesondere im Vergleich zu China, der Republik Korea und den Vereinigten Staaten. Dies lässt sich teilweise damit erklären, dass die Automobilbranche und die traditionellen Ingenieurtechnologien eine bedeutende Rolle in der deutschen Industrie spielen. Die deutsche Wirtschaft war auch in besonderem Maße von Problemen bei den globalen Lieferketten betroffen, und zwar stärker als andere europäische Volkswirtschaften.

Inzwischen hat sich die deutsche Wirtschaft aber erholt, und das gilt auch für die Zahl der Anmeldungen bei geistigen Eigentumsrechten. Wie in anderen Ländern gab es auch in Deutschland in den letzten zwölf Monaten einen bemerkenswerten Anstieg der internationalen Markenanmeldungen. Dies deutet darauf hin, dass die Umbrüche infolge der Pandemie und die beschleunigte Einführung digitaler Technologien eine neue Geschäftsdynamik ausgelöst haben, welche zur Einführung zahlreicher neuer Waren und Dienstleistungen auf dem Markt führte.

Die Entwicklung und Bereitstellung neuer Corona-Impfstoffe zeigt, dass Innovation auch in kürzester Zeit umgesetzt werden kann.
Ist Innovation vielleicht auch der Ausweg aus der Krise?

Ja, unbedingt. Wir wissen nicht, wie sich die Pandemie ohne Impfstoffe entwickelt hätte. Aber es ist klar, dass Impfstoffe Millionen von Menschenleben gerettet und längere und strengere Lockdown-Maßnahmen verhindert haben. In unserem Welt-IP-Bericht 2022 schätzen wir den gesellschaftlichen Nutzen von Impfstoffinnovationen auf 70,5 Billionen US-Dollar.

Es hat mich besonders gefreut, dass der von BioNTech in Deutschland entwickelte Impfstoff einen so wichtigen Beitrag zu Impfkampagnen in aller Welt geleistet hat. Dieser Impfstoff ist das Ergebnis langjähriger wissenschaftlicher und kommerzieller Forschung, die auf einer umfassenden internationalen Zusammenarbeit beruht. Gleichzeitig spricht der Erfolg von BioNTech für die Leistungskraft des Innovationsstandorts Deutschland im Bereich der Biomedizin.

„Der Schutz geistigen Eigentums ist Impulsgeber für wirtschaftliche Entwicklung und soziale Vielfalt.“

Mit dem Global Innovation Index (GII) untersucht die WIPO jährlich die globalen Innovationstrends.
Was waren zuletzt die wichtigsten Erkenntnisse aus dem GII?

Unsere jüngste Ausgabe des Global Innovation Index (GII) — veröffentlicht im vergangenen September — zeigt eine große Stabilität innerhalb der innovativsten Volkswirtschaften der Welt. Die Schweiz steht weiterhin an der Spitze der GII-Rangliste, gefolgt von Schweden und den Vereinigten Staaten. Die Zusammensetzung der Top Ten hat sich in den letzten Jahren wenig verändert. Das überrascht nicht, denn der Aufbau eines dynamischen Innovationssystems dauert viele Jahre und verlangt erhebliche Ressourcen. Der wichtigste langfristige Trend, den wir beim GII beobachten können, ist der Aufstieg der asiatischen Volkswirtschaften. Die Republik Korea verbesserte sich im letzten Jahr auf Platz fünf. China liegt jetzt auf Platz zwölf, während es vor zehn Jahren noch auf Platz 29 lag. Darüber hinaus haben andere asiatische Volkswirtschaften wie Indien, die Philippinen, Thailand und Vietnam in den letzten fünf Jahren bemerkenswerte Fortschritte gemacht.

Deutschland ist sozusagen Weltmeister bei der Anmeldung von Patenten. Bei anderen wichtigen Zukunftsthemen wie der Partizipation der Bevölkerung an der Digitalisierung ist das Land zurückgefallen. Wie schätzen Sie die Innovationsfähigkeit Deutschlands ein?

Wie auch immer man es betrachtet: Deutschland ist ein Spitzenreiter in Sachen Innovation. Es liegt auf Platz zehn des GII, und seine große Leistungsfähigkeit lässt sich nicht allein an Patentanmeldungen ermessen. Die deutsche Wirtschaft und insbesondere die deutschen Unternehmen gehören zu denjenigen, die weltweit am meisten für Forschung und Entwicklung (F&E) ausgeben.

Während internationale Vergleiche in der Tat darauf hindeuten, dass im Bereich der digitalen Wirtschaft einige Defizite bestehen, gibt es auch deutliche Stärken. So schneidet Deutschland beim Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien vergleichsweise gut ab, und auch im Logistik-Bereich ist das Land Spitzenreiter.

Mit Blick auf die Zukunft besteht eine übergreifende Herausforderung für Deutschland darin, auf seinen Stärken in vielen traditionellen Technologiebereichen aufzubauen, sich aber gleichzeitig auch an eine neue Ära anzupassen, in der sich die digitalen Technologien zu so genannten Allzwecktechnologien entwickelt haben, die den Fortschritt und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen vorantreiben. Ich habe den Eindruck, dass sich sowohl die politischen Entscheidungsträger als auch die Unternehmen in Deutschland dieser Herausforderung sehr wohl bewusst sind.

Die WIPO als UN-Organisation bündelt die Interessen von 193 Mitgliedstaaten und ist ein zentrales Forum für die Gestaltung des internationalen Systems des geistigen Eigentums.
Was sind zurzeit die Schwerpunktthemen in diesem Forum, und was sind die größten Herausforderungen?

Unsere größte Herausforderung ist in der Zukunftsvision der WIPO formuliert: eine Welt zu fördern, in der Innovation und Kreativität durch den Schutz des geistigen Eigentums zum Wohle aller unterstützt wird. Wir arbeiten daran, ein inklusiveres Ökosystem für Immaterialgüterrechte aufzubauen. Um dies zu erreichen, müssen wir weiterhin erstklassige Dienstleistungen für innovative Firmen anbieten, internationale Normen setzen und Menschen zusammenbringen, um Fragen des geistigen Eigentums zu diskutieren.

Wir arbeiten intensiv daran, die breite Öffentlichkeit über die Relevanz dieser Schutzrechte zu sensibilisieren — nicht nur Experten, sondern zum Beispiel auch Jugendliche, kleine und mittlere Unternehmen, Künstler und Musiker. Wir verstärken unsere Öffentlichkeitsarbeit, um zu vermitteln, dass der Schutz des geistigen Eigentums ein wichtiger Impulsgeber für Arbeitsplätze, Investitionen, Unternehmenswachstum, wirtschaftliche Entwicklung und soziale Vielfalt ist. Diese Themen gehören heute zu den größten Herausforderungen der WIPO.

Welche Bedeutung hat das DPMA als Partner für die WIPO?

Die WIPO wird auch weiterhin auf die hervorragende Partnerschaft mit dem DPMA setzen. Deutsche Unternehmen gehören zu den größten Nutzern des internationalen Systems des geistigen Eigentums. Auf deutsche Anmelder entfallen rund sechs Prozent aller internationalen Patentanmeldungen innerhalb des PCT-Vertrags, rund sieben Prozent aller Markenanmeldungen im Rahmen des Madrider Systems und rund 13 Prozent der Design-Anmeldungen innerhalb des Haager Systems. Betrachtet man Deutschlands Anteil am globalen Bruttoinlandsprodukt wird deutlich, dass der Anteil der Anmeldungen aus Deutschland das Gewicht Deutschlands in der Weltwirtschaft sogar übertrifft.

Unternehmen aus der ganzen Welt sind ihrerseits sehr daran interessiert, ihr geistiges Eigentum in Deutschland zu schützen. Die enge Zusammenarbeit zwischen dem DPMA und der WIPO soll auch in Zukunft einen ausgewogenen Schutz des nach und aus Deutschland fließenden geistigen Eigentums sicherstellen. Sie ist in zahlreichen Verträgen verankert und wird in der täglichen Praxis gelebt und umgesetzt. Darüber hinaus beteiligt sich Deutschland stark an den multilateralen Diskussionen in der WIPO und zeigt damit sein Engagement für den Multilateralismus.

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Überblick Das DPMA und die WIPO — eine verlässliche Partnerschaft

Logo WIPO

Die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) ist mit 193 Mitgliedsstaaten das globale Forum für Dienstleistungen, Politik, Information und Zusammenarbeit im Bereich des geistigen Eigentums.

Wesentliches Ziel der WIPO ist die Entwicklung eines ausgewogenen und wirksamen internationalen Systems des geistigen Eigentums, das Innovation und Kreativität zum Nutzen aller ermöglicht.

Eine Vielzahl unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern arbeitet im Rahmen verschiedener Gremien mit Kolleginnen und Kollegen aus den 193 Mitgliedsstaaten zu technischen (beispielsweise im Standing Committee on WIPO Standards) und rechtlichen (beispielsweise im Standing Committee on the Law of Patents) Themen zusammen.

Weitere Informationen zu unserer Zusammenarbeit mit der WIPO finden Sie auf unseren Internetseiten.

Nach einer der Pandemie geschuldeten Pause konnte das DPMA zusammen mit der WIPO und den nationalen Ämtern der Schweiz und Österreichs das traditionelle WIPO Roving Seminar durchführen. In einem Onlineseminar im Februar 2021 informierten Fachleute des gewerblichen Rechtschutzes über die Dienste und Initiativen der WIPO.

Zu den speziellen Aufgaben der WIPO gehört auch die Unterstützung von Entwicklungsländern. In regelmäßigen Schulungen übernimmt auch das DPMA einen Teil dieser wichtigen Aufgabe. Zuletzt realisierte das DPMA zusammen mit der WIPO und dem BPatG ein Webinar zum Thema „Gebrauchsmusterverfahren“ für das Ägyptische Patentamt (EgPO) durch.