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Penicillin

Penicillin-Kulturen in Petrischalen

Abstumpfende Wunderwaffe

Der 28. September 1928 gehört rückblickend zu bedeutendsten Daten in der Geschichte der Medizin. An diesem Tag beobachtete der schottische Arzt Alexander Fleming, dass ein Schimmelpilz Bakterien abtöten kann. Das Wirkprinzip des Penizillins war entdeckt.

Sir Alexander Fleming

Sir Alexander Fleming

Fleming (1881-1955) – er entdeckte übrigens auch das Lysozom mit seinen antibakteriellen Eigenschaften – forschte am Londoner St. Mary´s Hospital an Staphylokokken und hatte die Bakterien auf Agarplatten angesiedelt. Nach einiger Zeit hatte sich Schimmel in den Petrischalen gebildet. Fleming bemerkte, dass in der Nähe des Pilzes keine Bakterien mehr zu finden waren. Er schloss daraus, dass der Pilz „Penicilium notatum“ bestimmte Bakterien abtöten könne. Den Wirkstoff nannte er Penicillin. Fleming schrieb über seine Beobachtungen einen Artikel für das „British Journal of Experimental Pathology“, der 1929 erschien. Mehr geschah zunächst nicht.

Vergessene Pioniere

Ernest Duchesne, ein (fast) vergessener Pionier der Penicillium-Forschung

Ernest Duchesne, ein (fast) vergessener Pionier der Penicillium-Forschung

Es hätte Fleming also genau gehen können wie seinen Vorgängern: Schon 1870 sah der Londoner Physiologie-Professor John Scott Burdon-Sanderson einen Zusammenhang zwischen Schimmelpilzen und Bakterienwachstum. 1874 soll der berühmte Wiener Chirurg Theodor Billroth den bakteriziden Effekt des Penicilliums erkannt haben. Auch der nicht minder bekannte britische Mediziner und Antisepsis-Pionier Joseph Lister hat 1884 in Edinburgh Heilversuche mit Penicillium unternommen. Bartolomeo Gosio gewann 1893 in Rom aus einer Penicillium-Art den Wirkstoff Mycophenolsäure, der als vielleicht erstes Antibiotikum der Geschichte gilt, aber in Vergessenheit geriet.

Und 1897 reichte der junge französische Militärarzt Ernest Duchesne (1874-1912) seine Doktorarbeit ein, die beschrieb, dass bestimmte Schimmelpilze antibiotisch wirksam sind. Duchesne war darauf gekommen, weil er beobachtet hatte, dass Reitknechte die Schimmelbildung auf Sätteln bewusst förderten, indem sie sie in dunklen, feuchten Räumen lagerten. So würden die Scheuerwunden auf dem Rücken der Pferde schneller verheilen, sagten sie ihm. Duchesne gewann eine Lösung aus den Schimmelkulturen und machte erfolgreiche Tierversuche. Aber das Pasteur-Institut lehnte seine Dissertation ab. Wie anders hätte die Medizingeschichte verlaufen können!

Als erstes antimikrobielles Medikament gilt das 1910 von Paul Ehrlich eingeführte Arsphenamin, das unter dem Handelsnamen Salvarsan zur Syphillis-Therapie eingesetzt wurde.

Der Krieg beschleunigte Entwicklung und Massenproduktion

Dr. Ernst Boris Chain

Dr. Ernst Boris Chain

All diese Beobachtungen und Forschungen wurden aber keine Wendepunkte der Medizingeschichte, weil sie von der Wissenschaft nicht wahrgenommen oder nicht weiter verfolgt wurden - und keine Schutzrechte angemeldet wurden. Auch nach Alexander Flemings Publikation zum Penicillium passierte zunächst fast zehn Jahre nichts Entscheidendes, denn die Substanz erwies sich als instabil und in reiner Form schwer herstellbar.

Ernst Boris Chain (ein Berliner Chemiker, der wie viele andere bedeutende deutsche Wissenschaftler vor den Nazis nach England geflohen war), Howard Florey (ein australischer Pathologe) und ihren Kollegen in Oxford gelang es aber 1940, eine reine Form von Penicillin systematisch herzustellen und deren Eigenschaften genauer zu untersuchen. Der Zweite Weltkrieg vervielfachte das Interesse der Alliierten an wirksamen Mitteln gegen entzündete Wunden. Zumal Gegner Deutschland über das von Gerhard Domagk entwickelte Prontosil verfügte, das erste echte Antibiotikum auf den Markt (Penicillin war diesem Mittel jedoch vielfach überlegen, wie sich erweisen sollte).

1941 unternahmen Florey und Chain den ersten Test an einem Menschen, der zwar die Wirksamkeit des Penicillins bewies, aber tragisch endete, weil das Medikament noch nicht in ausreichender Menge zur Verfügung stand.

Gebündelte Anstrengungen beiderseits des Atlantik führten schließlich zu einem wirksamen Medikament, das in großen Mengen produziert werden konnte. 1945 erhielten Fleming, Florey und Chain den Nobelpreis für Medizin. Der Siegeszug des Penicillins begann. Es wurde in großen Mengen produziert, weltweit verbreitet und rettet bis heute unzähligen Menschen das Leben.

Fleming warnte früh vor den Risiken der Resistenz

Werbung für Penicillin im Schaufenster einer Apotheke, 1954

Werbung für Penicillin im Schaufenster einer Apotheke, 1954

Mittlerweile stehen aber zunehmend die Probleme im Mittelpunkt, die der massenhafte Einsatz von Antibiotika in den letzten Jahrzehnten mit sich gebracht hat: Viele Bakterien sind resistent geworden.

Alexander Fleming hatte bereits 1945 in seiner Rede bei der Nobelpreisverleihung auf diese Gefahr hingewiesen: „Es ist nicht schwierig, Mikroben im Labor gegen Penizillin resistent zu machen, indem man sie Konzentrationen aussetzt, die nicht ausreichen, um sie zu töten, und dasselbe ist gelegentlich im Körper passiert. Die Zeit kann kommen, wenn Penizillin von jedem in den Geschäften gekauft werden kann. Dann besteht die Gefahr, dass der unwissende Mensch sich leicht unterdosieren kann und indem er seine Mikroben nicht tödlichen Mengen des Medikaments aussetzt, macht er sie resistent.“

Besonders problematisch ist der jahrzehntelange massenhafte Einsatz von Antibiotika bei Massentierhaltung und –mast, die in die Umwelt gelangen. Bis heute kommen bei Tieren insgesamt größere Mengen Antibiotika zum Einsatz als bei Menschen.

Die Entwicklung der Resistenzen folgt dem klassischen Darwinschen Evolutionskonzept: resistente Bakterien können sich besser fortpflanzen, da die nicht-resistenten abgetötet werden und ihnen Platz machen, und geben ihre Resistenzen in rascher Folge an neue Generationen weiter, die sich ihrerseits immer besser anpassen. Diese Mikroevolution ließ Arten wie Staphylococcus aureus multiresistent werden.

Immer mehr multi- und kreuzresistente Keime

Detail aus US020230114728A1

Detail aus US020230114728A1: "Penicillin-binding protein inhibitors"

Die Medizin steht vor einem immer bedrohlicher werdenden Problem. Etliche Patentanmeldungen in den letzten Jahren - das zeigt ein Blick in die DPMA-Patentdatenbank DEPATISnet - widmen sich daher der Entdeckung oder Entfernung von Antibiotika in Tierfutter.

Auch die Erkennung von Resistenzen ist ein wichtiges Thema, siehe zum Beispiel pdf-Datei WO002015164225A1 (2,53 MB) („Schnelle Bestimmung der bakteriellen Empfindlichkeit gegenüber einem Antibiotikum am Versorgungsort“).

Anlass zur Hoffnung geben Ansätze wie pdf-Datei EP3330275A1 (3,14 MB) („Novel aminoglycoside antibiotic effective against multidrug-resistant bacteria“) oder pdf-Datei WO002018091707A1 (1,76 MB) (“New antimicrobial agents against Staphylococcus Aureus”).

Zu den jüngsten Anmeldungen gehören beispielsweise "Penicillin-binding protein inhibitors" ( pdf-Datei US020230114728A1 (9,27 MB)) oder "Penicillin-G acylases" ( pdf-Datei US020230272363A1 (6,42 MB)).

Trotz allem ist das Potential der Antibiotika noch längst nicht ausgeschöpft - siehe etwa pdf-Datei EP4108244A1 (2,7 MB), "Lactam antibiotic with significant activity against cancer".

Bilder: iStock.com/catoll, via Wikimedia Commons, Wikimedia Commons, Nobel Prize Foundation, Bundesarchiv_Bild_183-23912-0002, DEPATISnet

Stand: 09.04.2024